23. Gefährlicher Job

 

Manchmal lebt es sich in einer Kneipe gar nicht so ungefährlich wie man denkt, wie die folgende Anekdote beweist.

 

Eines Abends , es war schon ziemlich spät, kam ein Fremder an die Theke. Er bestellte ein Bier und fragte ob er eine Flasche Bier und ein paar Frikadellen mitnehmen könne. Mein Vater packte ihm das Gewünschte ein. Derweil unterhielt sich der Mann ein wenig mit den Männern an der Theke, trank in aller Seelenruhe noch ein zweites Bier , bezahlte seine Zeche und verschwand. Kurze Zeit später erschienen zwei Polizisten in der Kneipe und baten meinen Vater sie zu benachrichtigen, wenn ihm ein Fremder auffallen sollte. Aus der Rheinbacher Vollzugsanstalt sei ein Häftling entflohen. Meinem Vater fiel sofort der Fremde ein, der kurz vorher in der Kneipe gewesen war. Wie sich herausstellte, war das der Gesuchte. Er hatte sein Fluchtauto auf dem Parkplatz hinter der Kneipe abgestellt, wo es für vorbeifahrende Polizisten nicht einsehbar war. Ein Wächter, den er als Geisel genommen hatte, lag gefesselt  im Auto.

 

Was die Geschichte allerdings noch brisanter machte, war die Tatsache, dass in Odendorf viele Männer im Rheinbacher Knast als Wächter arbeiten. Einer von ihnen, Winfried Nips, hatte bis wenige Minuten, bevor der Knacki hereinkam bei den Kartenspielern in der Ecke gesessen.. Die Situation wäre mit Sicherheit eskaliert, wenn der Ausbrecher sich plötzlich in der Kneipe mit einem seiner Bewacher konfrontiert gesehen hätte.

 

Der Kommentar meines Vaters zu der Sache: „Ett wor ävver doch nett von dem Mann, datt e der Jeisel jätt ze ässe  un ze drönke mötjenomme hätt“. 

 

Dieses arglose Verhältnis zur Gefahr legt er übrigens auch bei jedem Einbruch in der Kneipe an den Tag. Einige Jahre lang wurde fast in regelmäßigen Abständen in der Wirtschaft eingebrochen – trotz einer Alarmanlage und der Anwesenheit diverser Hunde im Haus. Wenn die Alarmanlage einen Einbruch meldete, fuhr mein Vater sofort zur Kneipe, während meine Mutter telefonisch die Polizei verständigte. Anstatt auf das Eintreffen der Polizisten zu warten stürmte mein Vater natürlich immer sofort in die Kneipe, in der Hoffnung die Einbrecher noch auf frischer Tat zu ertappen. Zum Glück waren sie aber schon jedes Mal auf und davon. 

 

Einmal sah mein Vater aber bei seiner Ankunft jemanden die Odinstrasse in Richtung Brücke davonlaufen. Statt anzuhalten und auf die bereits alarmierte Polizei zu warten, startete er also durch und verfolgte den Flüchtigen auf eigene Faust. Der lief am Bach entlang. In Höhe der alten Post hatte mein Vater ihn fast eingeholt. Er versuchte ihn zwischen Auto und Wand festzusetzen, aber der Mann ( ein junger Kerl )  sprang über die Kühlerhaube und flüchtete in die Einfahrt des Altenwohnheims. Mein Vater versuchte schnell Richtung Hauptstrasse zu fahren, um ihm eventuell den Weg abzuschneiden, aber der Einbrecher war wie vom Erdboden verschluckt.

 

Für die zu Hilfe gerufenen Polizisten war das Verhalten meines Vaters natürlich ein Alptraum und mehr als einmal musste er sich fragen lassen, warum er die Polizei denn überhaupt verständige, wenn er alles auf eigene Faust erledigen wolle. Aber anscheinend kam jedes Mal, wenn er die Alarmanlage hörte seine „James-Bond-Veranlagung“ zum Vorschein.

 

Ein einziges Mal hatte er aber auch selber ein wenig Angst, vielleicht nicht so sehr um sich selber, sondern mehr um meine Mutter und um Tina, die zu dieser Zeit in der Kellerwohnung in der Südstrasse wohnte.

 

Die Kriminalpolizei Bonn hatte durch eine Telefonüberwachung zufällig den Hinweis erhalten, dass mein Vater überfallen werden sollte. Ein kleiner Ganove aus Bonn hatte von jemandem den Tipp bekommen, dass mein Vater abends die Tageseinnahmen mit nach Hause nahm. Er hatte also den Plan gefasst meinem Vater mit einem Komplizen nach Geschäftsschluss auflauern. Die Polizisten wussten allerdings nicht genau wann die Sache steigen sollte, sie vermuteten aber an einem Wochenende weil da die erwartete Beute höher sei.. Folglich  wurde Freitagsabends alles vorbereitet. Zwei Beamte des SEK (Sonder Einsatz Kommando) Köln saßen in der Wohnung über der Wirtschaft, einer wurde im Auto meines Vaters postiert. Die Südstrasse wurde von einer ganzen Horde „besetzt“, die mit Walkie-Talkie, Nachtsichtgeräten und schusssicheren Westen ausgestattet waren. In jedem Zimmer saß ein Beamter, sogar in der Garage wartete ein Polizist auf einem Motorrad auf seinen Einsatz. Tina wurde gebeten möglichst nicht abends spät aus dem Haus zu gehen, um nicht in Gefahr zu kommen. Aber diese Bitte war völlig unnötig. Ich glaube, neugierig wie sie war, hätten sie  keine zehn Pferde aus dem Haus gebracht. Sie war über alles was vor sich ging bestens informiert. Sie saß mit ihrer Oma im abgedunkelten Fernsehzimmer am Fenster und beobachtete was draußen vor sich ging. Gleichzeitig hing sie mit einem Ohr an der Tür, um den Funkverkehr der Polizisten ja nicht zu verpassen. Man kam sich vor wie in einem Krimi. Leider war alles vergeblich – die Ganoven schlugen weder an diesem noch am nächsten Wochenende zu. Zum Glück wurden sie aber wegen einer anderen Sache festgenommen, so dass man sicher war, dass sie aus dem Verkehr gezogen waren. So konnten wir wieder aufatmen, denn die ganze Sache hatte uns einige schlaflose Nächte bereitet und  einiges an Nerven gekostet.

 

Um die Polizeiaktion nicht zu gefährden durften wir während des Einsatzes möglichst mit niemandem darüber reden. Als das Ganze dann publik wurde,  waren natürlich alle in heller Aufregung und Johanna und Anne waren richtig beleidigt, dass wir sie nicht eingeweiht hatten.